Medical tourism. Dental treatment in the East of Europe
NACH OSTEN, DER ZÄHNE WEGEN
MICHAEL KRASKE
Viele Dentisten in Polen, Tschechien und Ungarn bieten guten Zahnersatz für wenig Geld. Immer mehr Deutsche pilgern zu den günstigen Lückenfüllern.
Am Bahndamm führt ein Kiesweg auf einen umzäunten Parkplatz. Vor dem Mehrfamilienhaus, das nur wenige Kilometer hinter der deutschen Grenze im Norden Stettins liegt, warten Limousinen mit deutschen Kennzeichen auf ihre Besitzer. Hinter den Blumenkästen an der Fassade empfängt den Besucher der Geruch von Zahnarztpraxen. Die blonde Frau an der Rezeption begrüßt mit einem Lächeln und in nahezu akzentfreiem Deutsch Patienten, die hierher kommen, in die polnische Zahnklinik Hahs.
Patienten haben das Recht auf eine Behandlung im Ausland
Elf Dentisten, acht Assistentinnen und drei Empfangsdamen arbeiten in dieser Praxis mit eigenem Labor und modernem Großraum-Behandlungszimmer, in dem bis zu sechs Patienten gleichzeitig Platz nehmen können, durch Vorhänge voneinander getrennt. Wer möchte, kann über einen Monitor verfolgen, was der Arzt gerade in der Mundhöhle anstellt. Dänen, Schweden und Norweger kommen schon seit einiger Zeit nach Polen, um sich billig die Zähne behandeln zu lassen. Seit am 1. Mai Polen, Tschechien und Ungarn Mitglieder der EU wurden, entdecken nun auch viele Deutsche die billigen Brücken der Nachbarn im Osten. Im vergangenen Jahr hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass Patienten das Recht haben, sich in anderen Mitgliedsstaaten der EU behandeln zu lassen (EuGH Az.: C-385/99). Hierzulande ist der Anspruch ausdrücklich im Sozialgesetzbuch geregelt: "Deutsche, gesetzlich krankenversicherte Patienten sind seit dem 1.1.2004 berechtigt, auch im Ausland Ärzte in Anspruch zu nehmen", sagt die Gesundheitsexpertin der Berliner Verbraucherzentrale, Dörte Elß.
Zehn bis 15 deutsche Patienten behandeln die Zahnärzte der Hahs-Klinik inzwischen pro Woche, sie kommen vor allem aus Berlin, aber auch von weiter her aus Düsseldorf, Hamburg und Frankfurt. Ingrid Nordhaus liegt im Behandlungsstuhl und hört klassische Musik, während eine Assistentin ihre neue Brücke abschleift. "See Friday?", fragt Frau Nordh aus nach der Behandlung in holprigem Englisch. "Friday, ready", holpert die Assistentin zurück. Schon dreimal ist die Potsdamerin nach Stettin gereist, um sich eine neue Brücke anfertigen zu lassen.
Man spricht deutsch
Die Brücke über drei Zähne aus Titan und Keramik kostet in der Stettiner Klinik insgesamt 1200 Euro. Der Kassenanteil beträgt 600 Euro, den Rest zahlt Ingrid Nordhaus selbst. In Deutschland hätte ihr Eigenanteil für die gleiche Prothese 1600 Euro betragen. 1000 Euro spart die 64-Jährige also durch ihre Entscheidung, sich in Polen behandeln zu lassen. Sie habe sie nicht bereut, sagt sie: "Die gesamte Behandlung war bislang unproblematisch, der Service ist gut, von der modernen Technik war ich von Anfang an fasziniert." Auch mit der Verständigung gab es kein Problem, immer war mindestens ein Mitarbeiter anwesend, der Deutsch sprach.
Für die billigen Angebote werde nicht an der Qualität gespart, erläutert Marcin Gaborski, der Direktor der Zahnklinik: "Wir verwenden hochwertige Materialien aus Deutschland, der Schweiz und Skandinavien. Für unsere polnischen Patienten sind wir eine Luxusklinik." Das Sparpotenzial liege beim Personal: "Unsere Laborkosten sind aufgrund der niedrigeren Löhne deutlich geringer als in Deutschland." Eine einfache Brücke über einem fehlenden Backenzahn kostet in Deutschland nach Angaben der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung rund 700 Euro, die Hahs-Klinik berechnet 310 Euro. Ein Zahnimplantat, das in Deutschland zirka 1600 Euro kostet, ist in Stettin für 800 Euro zu bekommen.
"Umfragen haben ergeben, dass Patienten bei Behandlungen in Polen, Tschechien und Ungarn 50 bis 70 Prozent der deutschen Kosten einsparen können", berichtet die Gesundheitsexpertin Dörte Elß. Vor allem in polnischen und tschechischen Grenzstädten, in Westungarn, Budapest und Prag ist den deutschen Zahnärzten dadurch eine Konkurrenz erwachsen, die mit Zahnersatz zum Schnäppchenpreis lockt. Bislang nutzen nach Expertenschätzungen bereits zwei bis drei Prozent der deutschen Patienten die ausländischen Angebote.
Zurzeit zahlen die Kassen prozentuale Zuschüsse für Zahnersatz. Spart der Patient, dann spart auch seine Versicherung. Wenn gesetzlich Versicherte ab Januar 2005 Festzuschüsse für ihre dritten Zähne bekommen, lohnt sich der Grenzverkehr für sie noch mehr, denn dann profitieren sie von den günstigeren Preisen ganz allein.
Fragwürdige Zahlen
Die deutsche Ärzteschaft macht sich mit fragwürdigen Zahlen Mut gegen die Konkurrenz: "Eine wissenschaftliche Studie aus Rheinland-Pfalz ergab, dass lediglich 23 Prozent der Untersuchten im Ausland eine angemessene Behandlung erhalten haben", sagt der Vorsitzende der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Jürgen Fedderwitz. Bei 48 Prozent der eingesetzten Kronen sei fraglich, ob sie überhaupt nötig gewesen seien. Für den aktuellen Osteuropa-Trend sind diese Daten allerdings nur beschränkt praxistauglich. Denn mehr als die Hälfte der für die Studie untersuchten Patienten ließ sich in der Türkei behandeln. Auch Fedderwitz räumt ein, dass Qualität nicht nur im Inland zu Hause ist: "Es gibt sicher auch im Ausland gut ausgebildete Zahnärzte. So werden zum Beispiel auch junge deutsche Zahnärzte in Ungarn ausgebildet."
Verbraucherschützerin Elß sieht keinen Grund, vor Zahnkliniken in Osteuropa zu warnen: "Ich hatte in den Beratungen bisher nur zufriedene Patienten. Über die Qualität der Behandlung etwa in Polen hat sich noch niemand beschwert." Das Problem liegt vielmehr in der deutschen Bürokratie: Immer wieder berichten Patienten über hinhaltende oder widersprüchliche Aussagen von ihren Krankenkassen über die Kostenerstattung einer Auslandsbehandlung. "Es gibt offenbar noch keinen geregelten Ablauf für den Prozess bei den Kassen."
Unsicherheiten bei den Krankenkassen
So mancher Sachbearbeiter verstößt mit dieser Hinhaltetaktik gegen die internen Vorgaben seines Arbeitgebers. Denn bereits im November vergangenen Jahres haben die Spitzenverbände der Krankenkassen gemeinsam festgelegt, wie verfahren werden soll. Grundregeln: Auslandsbesuch vorab von der Kasse genehmigen lassen, anschließend die Rechnung einreichen und den Zuschuss kassieren.
Verbraucherberaterin Elß rät, vor der Reise ins Ausland die wichtigsten Fragen noch etwas detaillierter mit der Krankenkasse zu klären: "Welches Verfahren muss ich beachten? Wie muss der Heil- und Kostenplan aussehen? Welche Kosten werden erstattet?" Sie empfiehlt, zunächst in Deutschland einen Heil- und Kostenplan erstellen zu lassen - das zahlt die Kasse. Mit ihm als Vorlage sollte der Patient ins Ausland fahren und sich dort von dem Arzt vor Ort einen Heil- und Kostenplan nach deutschem Vorbild ausstellen lassen. Diesen muss der Patient vor der Behandlung bei seiner Krankenkasse einreichen. Maximal werden die tatsächlich entstandenen Kosten ersetzt. In der Regel muss der Patient die nach deutschem Vorbild ausgestellte Rechnung im Ausland allerdings vorher bar bezahlen.
Auf Garantie achten
Wer sich im Ausland behandeln lässt, muss damit rechnen, dass er für eventuelle Nachbesserungen auf Reisen gehen muss. "Deutsche Ärzte werden die Finger von einem fehlerhaften Zahnersatz aus dem Ausland lassen", warnt Dörte Elß, "der Patient hat dann lediglich das Recht auf eine Notfallbehandlung und muss die Nachbesserung selbst bezahlen." Auch das Gutachterverfahren, das in Deutschland Ärztepfusch korrigieren soll, gilt bei einem dentalen Auslandsersatz nicht. Doch das Risiko lässt sich begrenzen. Die Expertin rät, sich von dem ausländischen Arzt eine Garantie einräumen zu lassen - auf deutsche Patienten eingestellte Praxen bieten das häufig schon von sich aus an.
"Unsere Ärzte gewähren auf ihre Leistungen wesentlich höhere Garantiezeiten, als sie in Deutschland üblich sind, teilweise bis zu fünf Jahre", sagt Roland Rose, Inhaber der Berliner Agentur Zahnarzt-Planet, die Patienten an 21 Zahnkliniken in Ungarn vermittelt. Sogar die Flug- und Hotelkosten für eine Nachbehandlung übernehme die Klinik. Zusätzlich sucht die Agentur nach Partnern im Inland. "Praxen in Deutschland sollten die Nachsorge übernehmen", sagt Rose, "allerdings ist es schwer, hierfür Zahnärzte zu gewinnen. Aber in Mannheim, München und Frankfurt ist uns das schon gelungen." Bis Ende des Jahres wolle die Agentur in jeder größeren deutschen Stadt eine Praxis für die Nachsorge vermitteln können.
Pauschaltourismus zum Zahnarzt
Mit besserem Service hoffen die Auslandsanbieter, den Umsatz weiter steigern zu können. Zahnarzt-Planet bastelt bereits an einem Konzept für Massentourismus, der Sparen und Spaß verbindet. Schon jetzt stellt die Agentur individuelle Reisepakete für Ungarn zusammen: vom Wochenend-Trip zur Erstellung des Heil- und Kostenplans bis zum Familienurlaub mit Kinderbetreuung und umfassendem Zahnersatz.
Bleibt die Frage, wie man einen guten Zahnarzt findet. "Auch in Deutschland gehe ich nicht einfach zum Zahnarzt und lasse ohne Prüfung etwas machen", sagt Elß. "Die Hauptarbeit liegt im Vorfeld." Die Verbraucherschützerin empfiehlt, den ausländischen Zahnarzt schon vor Beginn der Behandlung zu besuchen, um sich vor Ort einen Eindruck zu verschaffen, wie es die Praxis mit Service, Ausstattung und Verständigung hält. Auf jeden Fall sollte vorab geklärt werden, ob eine gute sprachliche Verständigung möglich ist und welche Materialien der Dentist verwendet. Zudem sollte die Praxis über Erfahrung mit deutschen Heilplänen verfügen, damit die Krankenkasse später nicht die Kostenerstattung verweigert.
Ein engagierter Auslands-Dentist wird sich besondere Mühe geben, seine Patienten zufrieden zu stellen. Schließlich weiß er, dass Vertrauen nötig ist, um sich in einem fremden Land medizinisch behandeln zu lassen - und dass persönliche Empfehlungen eine gute Werbung sind.
Besserer Service und noch gespart
"In Deutschland war ich mit meinem Zahnarzt unzufrieden", berichtet die Berlinerin Maria Mikussies, 55. "Lange war es mir unmöglich, einen Termin zu bekommen. Später, während der Behandlung, wurde dann jede meiner Nachfragen als Belästigung empfunden." Nun lässt sie sich in Stettin insgesamt sieben Implantate setzen und macht ganz andere Erfahrungen: "Auch schnelle Termine waren möglich. Jeder Schritt wird im Detail ausführlich besprochen." Dabei spart sie einen vierstelligen Euro-Betrag.
Regelmäßige Vorsorge kann der Grenzgang nicht ersetzen. Peter Spiel nimmt im Behandlungsstuhl der Zahnklinik Hahs Platz. Sein Lächeln legt diverse Zahnlücken frei. "Ich habe lange nichts machen lassen, brauche wohl einen kompletten Neubau", sagt der 54-Jährige. Die Zahnärztin Joanna Hahs-Gaborski untersucht die Ruine in Spiels Mund. "Sechs Zähne müssen erst mal raus. Sie haben chronische Entzündungen, die irgendwann schmerzen werden", sagt sie. Dann schreibt sie die traurige Bilanz in einem Kostenplan zusammen. Zehn Implantate müssen eingesetzt werden. Damit sie halten, ist es nötig, zuvor Knochen aufzubauen. Acht bis neun Monate wird die Behandlung dauern. Spiels neues Gebiss wird in Stettin rund 15.000 Euro kosten. Zuzüglich Fahrtkosten - mit dem Brandenburg-Ticket sind das 23 Euro pro Arztbesuch. Diese Nebenkosten kann Spiel verschmerzen, denn in Deutschland müsste er allein für die Implantate 8000 Euro mehr bezahlen.
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